Ein Referat von Museumskuratorin Dr. Dorothea Talaa anläßlich der 850-Jahr-Feierlichkeiten in Wöllersdorf am 28.06.2015
Die niederösterreichische Gemeinde Wöllersdorf (heute Marktgemeinde Wöllersdorf-Steinabrückl) liegt im Steinfeld am Ausgang des Piestingtales in einer klimatisch begünstigten Mikroregion. Wie die Ausgrabungen zeigen, die seit 2005 in der im Umfeld des heutigen Bahnhofs liegenden Riede Satzäcker durchgeführt werden, reichen ihre Wurzeln tief in die Vergangenheit zurück. Die ersten bäuerlichen Siedler ließen sich hier bereits im 6. vorchristlichen Jahrtausend, in der Epoche der Linearbandkeramik, nieder. Der Siedlungsplatz war gut gewählt, da sicher vor den Hochwässern der Piesting, aber dennoch nah genug am Fluss, um mit dem lebensnotwendigen Wasser versorgt werden zu können. Er liegt zudem im Umfeld der Kupfervorkommen des Schneeberggebiets, einem der wichtigsten Rohmaterialien der Steinzeit, und an einem alten Handelsweg, der nicht nur als Transportmöglichkeit für Salz aus der Solequelle von Salzabad, sondern auch als Verbindung zur Bernsteinstraße diente. Über diese Handelsroute wurden seit der Steinzeit quer durch den Kontinent Güter von Nord nach Süd und umgekehrt bewegt. Schon während der Epoche der Linearbandkeramik, aber vor allem in der Periode des Epilengyel des 5. und der Badener Kultur des 4. Jahrtausends v. Chr. wurden geräumige Wohnhäuser aus Holz, Werkstätten und eine Ofenanlage zur Verarbeitung von Kupfer mit kleinasiatischer bzw. südosteuropäischer Technologie errichtet. Die Einwohner der Siedlung und Betreiber dieser Anlage wurden im 5. Jahrtausend nach ihrem Tode auf dem Scheiterhaufen verbrannt und neben ihren Häusern mit Schmuck und Waffen, vor allem Pfeil und Bogen, der effektivsten neolithischen Fernwaffe, bestattet. Das Totenritual änderte sich zumindest teilweise im 4. Jahrtausend insofern, als dass man die Verstorbenen unverbrannt zum Teil unter Hügeln beisetzte, welche mit steinernen Stelen markiert wurden. Der Reichtum der damaligen Siedler führte aber immer wieder zu sehr brutalen kriegerischen Auseinandersetzungen, die auch in der folgenden Bronze- und Eisenzeit, d. h. vom 3., bis zum Ende des 1. Jahrtausend v. Chr. immer wieder zur Zerstörung, aber auch zum Wiederaufbau der Siedlung führten. Im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., in der späten Eisenzeit, der Latènezeit, wurden für die damalige keltische Oberschicht große Grabhügel an repräsentativer Stelle entlang des alten Weges errichtet, in denen die Mitglieder dieser aristokratischen Reiterkriegerkaste mit ihren Waffen, Schmuck und einem Keramikgeschirrset beigesetzt wurden, das auf intensiven Weinkonsum schließen lässt. Ein keltischer Prestige- oder Sakralbau in Holz wurde im Zuge der Ausgrabungen ebenso dokumentiert, wie eine Kultanlage mit steinerner Stele, die wahrscheinlich den Gott des Reichtums, der Fruchtbarkeit und des Todes darstellen sollte und zusammen mit zwei Priestern rituell auf dem Areal des Hügelgräberfeldes begraben wurde. Der Fund eines norischen Kleinsilbers vom Typ Kugelreiter lässt zusammen mit Details der Grabarchitektur auf Beziehungen zum Gebiet des heutigen Kärnten und Slowenien wie auch zur Ukraine bzw. Georgien schließen. Die Ansiedlung bestand weiter bis ins Frühmittelalter. Das Dorf der slawisch stämmigen Bevölkerung, die zusammen mit den Awaren, einem asiatischen reiternomadischen Völkergemisch, im 6. Jahrhundert einwanderte, konnte im Umfeld des heutigen Bahnhofs auch archäologisch nachgewiesen werden. Es war im 8. und 9. nachchristlichen Jahrhundert vor seiner endgültigen Zerstörung am Beginn des 10. Jahrhunderts durch einen magyarischen Angriff und anschließenden Verlagerung in den Bereich des heutigen Ortskernes Teil des karantanischen Stammesfürstentums, das zunächst noch unter awarischer Oberhoheit, dann unter bayrischer Administration stand.
Eine herausragende Führungspersönlichkeit dieser Zeit mit Namen oder Titel Welan - der Bezeichnung liegt vermutlich das altslawische Wort für groß velu/velanu zugrunde- existierte offenbar tatsächlich, so dass die Ansiedlung nach dem legendären Ortsgründer Dorf des Welan genannt und 1165 in den bayrischen Traditionsbüchern des 12. Jahrhunderts damit auch als Welandisdorf bzw. Welanesdorf erstmals urkundlich erwähnt wurde. Im Mittelalter hatten mehrere Stifte und Klöster, darunter Heiligenkreuz, Lilienfeld, Spital am Semmering, Neuberg an der Mürz, aber auch weltliche Herren, wie die Familie Starhemberg Besitzungen in Wöllersdorf. Der Wirtschaftshof des Stiftes Lilienfeld konnte beispielsweise auf dem Areal des Hauses Hauptstrasse 5 nachgewiesen werden. Im Spätmittelalter (1334-1335) wurde, wie aus dem Rationarium (Akten des Gerichtes Wr. Neustadt) hervorgeht, der Vorgängerbau der heutigen Georgskirche, die Georgskapelle im Umfeld des Flussübergangs, einem alten vorchristlichen und in der Folge christianisierten Kultplatzes errichtet. Die Piesting selbst fungierte während des gesamten Mittelalters bis ins 18. Jahrhundert als Trennlinie zwischen den Diözesen Salzburg und Passau. 1422 wurde der erste Pfarrer von Wöllersdorf demnach auch von Grillenberg aus bestellt. Die unruhigen Zeiten am Ende des Mittelalters führten in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts zur Errichtung des Höhlturmes mit zwei Hanganschlussmauern. Die Anlage sicherte nicht nur das Piestingtal, sondern vor allem auch den Eingang der dortigen Höhle, die offenbar schon in prähistorischer Zeit als Fluchtort gedient hatte. Das im Zuge der Türkenkriege 1529 stark in Mitleidenschaft gezogene Bauwerk wurde wieder instand gesetzt und 1531 erstmals nicht nur als Rückzugs- sondern auch als Aussichtsareal erwähnt. Die Errichtung des Kupferhammers, der Münzprägestätte der Habsburger Monarchie, der Versuch des Steinkohleabbaus im Marchgraben, aber auch die Nutzung der schon seit der römischen Epoche in Betrieb stehenden Steinbrüche führte im 17. Jahrhundert zu einem wesentlichen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich im 18. Jahrhundert fortsetzte. Insbesondere die letzten Besitzer des Kupferhammers, die Familie Schmid von Schmidsfelden, tätigten zahlreiche Investitionen. So wurde von 1690 bis 1710 das Schlössl als Familienansitz in der unmittelbaren Nachbarschaft des Kupferhammers gebaut, ein Wohnhaus für die schon in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts erwähnte Mühle errichtet und die durch Hochwasser und Erdbeben stark beschädigte Georgskapelle restauriert und barockisiert, die 1783 zur Pfarre und im Folgejahr zur Kirche erhoben wurde.
Im 19. Jahrhundert wurde der Wirtschafts- und Industriestandort Wöllersdorf weiter ausgebaut. Unter anderem lieferten die Steinbrüche Material auch für die Ringstraßengebäude. Offenbar noch unter dem Schock der napoleonischen Kriege wurde 1814 die Feuerwerksanstalt als Produktionsstätte für Munition für die k&k Armee errichtet. Nach dem Bau der Kaserne am Wasser, der nachmaligen Babenberger Kaserne, 1830 auf dem Gelände der Feuerwerksanstalt, wurde ein Großteil der Produktion der k&k Munitionsfabrik dorthin verlagert. Die Anlage verfügte über die erste mit Hochspannung betriebene Werksbahn überhaupt. Bis zu 50.000 Beschäftigte arbeiteten in den Werkstätten unter heute unvorstellbaren Bedingungen. Traurige Berühmtheit erreichten die Werke durch die vielen Unfälle, durch deren letzten 1918 400 Tote zu beklagen waren. Nach Ende des ersten Weltkriegen wurden die Wöllersdorfer Werke dann privatisiert und 1933 auf dem Fabriksgelände das Anhaltelager errichtet, in dem Regimegegner des Austrofaschismus interniert wurden und das 1938 von den Nationalsozialisten weitgehend geschlossen wurde. 1945 rückte Wöllersdorf noch einmal ins Zentrum des Geschehens, eines sehr negativen Geschehens, da die Hauptkampflinie quer durch den Ort verlief. 1972 schließlich wurde die Gemeinde Wöllersdorf im Zuge einer Verwaltungsreform mit der Gemeinde Steinabrückl zusammengelegt und 1988 zur Marktgemeinde erhoben.